Plädoyer für Inzucht

Nein, ich hab es weder mit meiner Schwester getrieben, noch hab ich sonst irgendeinen persönliche Beziehung zu dem Thema. Aber als ich unlängst in ein Gespräch darüber verwickelt wurde, da dachte ich drüber nach und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Inzucht ist ein Tabuthema. Sie ist verboten und wird abschätzig Inzest und sogar Blutschande genannt. Es heißt, sie führe zu kranken Nachkommen. Jeder kennt die Geschichte mit den Blutern in der englischen Königsfamilie. Zudem sollen die Nachkommen geistig degeneriert sein, man denkt da z.B. an Kaiser Ferdinand.

Während es für letzteren Glauben keinerlei wissenschaftliche Grundlage gibt (es gab ja auch genug intelligente Habsburger, und ob Ferdinand wirklich so dumm war, das sei mal dahingestellt), wird ersteres mit der rezessiven Vererbung von Erbkrankheiten begründet.

Jeder Mensch hat einen doppelten Chromosomensatz. Ein Chromosomensatz jedes Elternteiles wird an das Kind weitergegeben, so dass dieses wieder über 2 Chromosomensätze verfügt. Es kann z.B. in einem Chromosomensatz ein "Blutergen" (B) vorhanden sein, während der andere Chromosomensatz normal (N) ist (ich vernachlässige die verschiedenen Arten von Hämophilie und die Unterschiede zwischen den Geschlechtern; es geht mir nicht speziell um die Bluter, sondern um Mutationen allgemein): BN Die betreffende Person ist kein Bluter, da das normale Gen dominiert. Es Erst bei BB kann das normale Gen, da nicht vorhanden, nicht mehr wirksam werden. Die Person ist ein Bluter. Schauen wir uns nun an, was passiert, wenn eine Mutation auftritt, die einen solchen Defekt bewirkt.

Erst sind da die normalen Gene: NN
Durch Mutation wird eines verändert: BN
Durch Paarung mit NN sind folgende Kombinationen möglich:
B1,N1 oo N2,N3 → B1,N2 oder B1,N3 oder N1,N2 oder N1,N3 oder zusammengefasst: BN oo NN → 2BN + 2NN D.h. 50% der Nachkommen sind BN und 50% NN. 50% der Nachkommen tragen das kaputte Gen in sich (und merken nichts davon), 50% haben gesunde Gene.

Merkbar wird der Defekt frühstens in der dritten Generation, und zwar dann, wenn sich BN mit BN paart: BN oo BN → BB + 2BN + NN 25% der Nachkommen sind Bluter.

Wollen wir uns alle Nachkommen der 1. in der 3. Generation anschauen, dann stehen wir vor dem Problem, dass das Verhältnis von der Gesamtzahl in der 2. Generation abhängt, da sich niemand mit sich selbst paaren kann - was bei größerer Gesamtzahl immer weniger ins Gewicht fällt. Mit 4 Individuen in der 2. Generation kommt man in der 3. auf 1/24 BB, 10/24 BN und 13/24 NN. Geht die Gesamtzahl gegen unendlich, dann kommt man auf 1/16 BB, 6/16 BN und 9/16 NN.

Da es um eine negative Mutation geht, können wir davon ausgehen, dass BB eine geringere Lebenserwartung haben oder sich zumindest weniger fortpflanzen. Übertreiben wir und nehmen wir an, dass alle Bluter vor ihrer Geschlechtsreife verbluten. Dann sieht die 3. Generation so aus: 10/23 BN, 13/23 NN, also 43% BN, 57% NN; bis 6/15 BN, 9/15 NN, also 40% BN, 60% NN. In beiden Fällen haben sich die BN anteilsmäßig verringert, während die NN entsprechend zunahmen.

Regel: Inzucht bringt Erbkrankheiten zum Vorschein, merzt die Gendefekte auf Dauer aber wieder aus.

Wird Inzucht unterbunden, dann gibt es zwar in den nächsten Generationen zwar noch keine BB, aber es wird der gesamte Genpool der Population kontaminiert. So entstehen jene seltenen Krankheiten, die von den Ärzten nicht erkannt werden und wenn, dann nicht geheilt werden können, weil für keine dieser Krankheiten ein kommerzielles Forschungsinteresse besteht. Die Anzahl der Betroffenen pro Krankheit ist zwar gering, aber die Zahl der Krankheiten wird immer mehr, weil immer weitere Mutationen hinzukommen.

Inzucht als Evolutions-Booster

Die meisten Mutationen sind nachteilhaft, es gibt aber auch positive (sonst wären wir immer noch Einzeller). Nehmen wir mal an, dass eine Mutation einen Selektionsvorteil bringt, wie in unserer Vergangenheit z.B. die menschliche Intelligenz, die dunkle Haut in den Tropen und die helle in polnahen Regionen, außerdem die Laktoseverträglichkeit im Erwachsenenalter und nicht zuletzt die Resistenz und Immunität gegen Krankheiten (Grippe bei Indianern, Pest).

Da ich nicht genau weiß, welche davon dominant und welche rezessiv vererbt werden, nehme ich ein abstraktes Beispiel:

Angenommen, A wird rezessiv vererbt und AA bringt einen Selektionsvorteil (im Sinne von Anzahl Kinder) von 100%. Dann besteht die 2. Generation aus 50% AN und 50% NN. Ohne Inzucht wird AA erst dann auftreten, wenn die ganze Population durchmischt ist. Es wird dann nur sporadisch auftreten, wie die oben angesprochenen seltenen Krankheiten.

Mit Inzucht hingegen gibt es schon in der 3. Generation 1/24 bis 1/16 AA (s.o.). Somit wirkt sich deren Selektionsvorteil viel früher aus - um so mehr, als auch die Chance auf eine Paarung mit AN noch groß ist.

Fazit: Inzucht reinigt den Genpool von negativen Mutationen und beschleunigt zugleich die Evolution.

Kreuzungen mit anderen Populationen erlauben eine Vereinigung ("Rekombination") neuer Merkmale. Das bringt aber erst dann etwas, wenn solche vorhanden sind.

Nachhaltigkeit in der Fortpflanzung

Nachhaltigkeit ist in aller Munde, aber nicht in Bezug auf die Entwicklung des Genpools. Das Inzuchtverbot zielt darauf aus, kurzfristig die Gendefekte (Erbkrankheiten) nicht zum Vorschein kommen zu lassen, aber um den Preis, dass sie unbemerkt und schleichend immer mehr werden. Es ist wie mit den Staatsschulden...


Nachtrag Dez 2010: Mein Appell zeigt Wirkung!

"Der Schweizer Bundesrat will den Inzest straffrei stellen. Eine einvernehmliche Liebesbeziehung zwischen Mutter und Sohn soll künftig nicht mehr strafbar sein, heißt es in einem Entwurf des neuen Strafgesetzes. [...] Mit der Streichung wird einzig der einvernehmliche Beischlaf zwischen blutsverwandten Erwachsenen (Blutsverwandte in gerader Linie und Halbgeschwister) straffrei.." (Kurier 10.12.2010)

Dass der Beischlaf zwischen "ganzen" Geschwistern anscheinend verboten bleibt, zwischen Mutter und Sohn aber erlaubt wird, erscheint mir allerdings widersinnig.

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